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13 Sept., 2024
In der kleinen Bucht auf der Höhe des Eingangs zum Nationalpark ziehen die schweren Regen-wolken nur ganz langsam in Richtung Wasser. Auf einem Stein mit Kuhle finde ich Platz und atme mit der leicht bewegten Ostsee. Vor mir schwimmt ein einzelner Kormoran und taucht ab. Nach einer Weite vermute ich, dass ich ihn verloren habe, dass er längst weitergezogen ist. Jetzt taucht er auf und gleich wieder ab. Ich zähle: 21,22,23… 18 Sekunden bleibt er unter Wasser, kommt kurz hoch und taucht erneut. Wow, das ist beeindruckend und ich merke, wie er Neugierde in mir weckt. Kennst Du das auch? Du bemerkst ein Tier, ein blühendes Kraut entlang Deines Weges oder entdeckst eine interessante Blattform am Baum und wirst neugierig, möchtest mehr erfahren. Heute früh zum Sonnenaufgang ging es mir schon einmal so mit einem kleinen Vogel, der von den Kreidefelsen hin zu einem großen im Wasser liegenden Findling flog und dort begann, zu picken. Ich weiß nicht, was sich auf der Oberfläche des Steines befand, der ja dort immerhin schon seit der letzten Eiszeit liegt. Irgendwas wird der kleine Vogel dort gefunden haben, bevor er die Position veränderte und ein Lied anstimmte. Habitat, Klang und Bewegungsmuster deuteten auf eine bestimmte Art hin, aber klar abgesetzte Farben konnte ich leider nicht erkennen. Als er ein paar Meter entfernt auf dem Steinstrand landete und ich mich ihm vorsichtig, eine kleine Melodie für ihn pfeifend näherte, versprach ich, heute endlich zum Optiker zu gehen. Meine Aufmerksamkeit ist nun beim Spiel der Wellen, die sich an den vielen Findlingen brechen. Ich schließe die Augen und lausche. Was hört mein linkes, was mein rechtes Ohr? Wie klingt das zarte Rumpeln der kleineren Flintsteine, wenn sie sich durch den Druck der anrollenden Wellen aneinander reiben? Dann landet meine Aufmerksamkeit bei den Düften, ich nehme die Landschaft über meine Nase auf und atme tiefer. Und schließlich schweift mein Blick in die Weite – ich selbst werde weiter - und das Grün der Buchen links von mir leuchtet im Sonnenlicht. Unsere Körper und alle Körper sind Immerzu im Wandel, vor mir präsentiert sich die Landschaft immer wieder neu. Als ich hier vor langer Zeit wohnte, war ich jeden Morgen gespannt, welches Bild sich meiner Hündin und mir bieten würde. Hin und wieder waren nahe am Abgrund stehende Bäume um- und abgestürzt, dort wo Wind, Regen und Wellen über die Zeit gewirkt hatten. Immer wieder brausten die Wellen gegen die erdigen und kreidenen Begrenzungen, durchtränkten und schwemmten weg. Dann gab es kein Durchkommen. An anderen Tagen lag der Weg ganz eben vor uns, doppelt so breit wie am Abend zuvor und die Ostsee gluckste friedlich vor sich hin. Ich war täglich aufs Neue fasziniert von der Wildheit der Landschaft und dem Zusammenspiel der Elemente. Seither komme ich als Besucherin mehrmals im Jahr. Das Land um die Bucht ist mir vertraut geblieben. Gestern bei meiner Ankunft sah ich, dass eine mächtige, alte Buche am Wegesrand begonnen hat, sich noch etwas mehr über den Strand zu beugen, so dass ihre Wurzeln das umliegende Erdreich und damit den Gehweg zum Kippen brachten. Ich kenne die Buche seit mehr als 25 Jahren, sie war auch damals schon alt und mächtig. Vielleicht wird sie sich in den kommenden nassen Wintern ganz der Schwerkraft hingeben. Diese lebendige Landschaft ist Lebensraum für viele. Sie ist auch Teil meines Lebens, gehört zu meiner nicht-menschlichen Familie und bin dankbar, dass ich sie habe.
von Lia Braun 21 Apr., 2024
Am Ende der Woche sehne ich mich nach einem Ausgleich, nach Stärkung. Mir kommt das Bild von einem Spaziergang entlang der Havel, vielleicht ein ruhiges Verweilen in einer kleinen Bucht. In der Vorstellung schweift mein Blick über die Weite des Wassers, mein Atem geht gleich tiefer. Vor Ort angekommen, sind es viele Menschen, die ans Ufer wollen. Und so kommt es, dass ich den Weg zum Fluß zwar eingeschlage, dann aber gleich eine Pflanze im Dickicht zu mir herüberleuchtet. Es zieht mich zu ihr hin. Fasziniert von der Schönheit, von der Art, wie sich die Pflanze aufrichtet, wie sich ihre zarten Blättchen dem Licht entgegenstrecken, verweile ich mit ihr. Und vielleicht lande ich später auch noch am Wasser und laufe dort entlang. Aber die Begegnung mit der jungen Pflanze hat mich bereits genährt, mich gestärkt. Und vielleicht gibt es auch am Ufer noch etwas zu entdecken. Es mag nicht dem entsprechen, was ich zuhause visualisiert hatte, sondern es ist - man könnte sagen - das, was mir geschenkt wird, wenn ich mit offenem Herzen und wachem Geist, langsam einen Schritt vor den anderen setze. Offen, neugierig und bereit, mich überraschen zu lassen. Pleasures of Presence die längere Sinnesmeditation zu Beginn jedes Walks, möchte Dich in einen Zustand begleiten, der das offen und neugierg Sein unterstützt. Dann das Dich langsam inmitten der unendlichen Bewegungen des Waldes zu bewegen, im Rhythmus mit den sich im Wind wiegenden Ästen zu atmen, bringt Dich leicht in Einklang mit dem, was Dich umgibt. Und dann kann die Einladung, einen Baum zu finden und seine Borke mit Deiner Haut zu ertasten dazu führen, dass dein Blick entlang des Stammes nach oben gleitet, weil Du einen Flügelschlag hörst und Du in den Wipfeln einen Vogel entdeckst, der da sein Nest baut. Ein Gefühl von berührt sein, ein stilles wow, Du zeigst Dich mir! Und dann bist Du mittendrin, bist Teil des Waldes, darfst staunen und die Freude darüber darf sich in Dir ausbreiten. Wenn Du dann zurück in den Kreis kommst, vielleicht magst Du etwas von dieser schönen Begegnung erzählen und die anderen lauschen dann Dir. Und je nachdem, was Dein aktuelles Thema war, Deine Intention, vielleicht tritt für Dich die wahrgenommene Fürsorge des Vogels in den Vordergrund oder die Geduld und Strebsamkeit, mit der jeder kleine Zweig herangeholt wurde, damit das Nest entsteht. Was auch immer Dich da anspricht, ist genau für Dich. Der Wald ist der Therapeut, der Guide öffnet die Türen. Es gehst genau um das, was Dich berührt und um die Beziehung, die Du da entwickelst. Und vielleicht kommt ein Gefühl von Dankbarkeit in Dir auf für den Wald, für die Umstände, die Dich an diesen Ort geführt haben, für den Vogel und all die Schönheit. Und nicht zuletzt auch für Deine Präsenz, für Dein Sein in der erlebten Verbundenheit mit dem Land, der Luft, dem Leben.
von Lia Braun 30 Juli, 2022
Einmal wöchentlich zwei Stunden zum eigenen Wohlergehen im Wald zu verbringen ist zweifellos eine gute Investition. Vielleicht ein bisschen laufen, dann langsamer werden, aufmerksam für das, was um Dich herum und in Dir vorgeht. Spüren, wie sich der Waldboden anfühlt, den Bewegungen der Luft und dem Rhythmus Deines Atems lauschend. Das alleine wird sich positiv auf Dein Nervensystem auswirken, wird Dein Immunsystem stärken, wird Dir Momente von mehr Gelassenheit und Leichtigkeit bescheren. Wollen wir Resilienz entwickeln braucht es mehr. Es braucht ein Bewusstsein für vorhandene Schutz- und Risikofaktoren. Vor allem braucht es eine freundliche Haltung gegenüber Letzteren, unseren verletzten Seiten, die sich irritiert, gereizt, hilflos fühlen oder sich zurückziehen möchten. Hier können diverse Resilienz-Tests Hinweise geben. Dann herauszufinden, welche Stärken hier im Weiteren einen Unterschied machen würden ist ein individueller Prozess. Es gibt aber auch innere Haltungen und Fertigkeiten, die quasi für alle hilfreich sind. Das Gehirn ist plastisch , d.h. dass unser regelmäßiges Tun im Gehirn „Spuren“ hinterlässt. Durch Intensität und Wiederholung bestimmter Erfahrungen bilden sich über die Zeit neuronale Strukturen aus. Im übertragenen Sinne werden aus anfänglich zarten Pfaden, Straßen und schließlich Autobahnen. Von Mal zu Mal feuern die neuronalen Netzwerke im Gehirn schneller bis alles fast automatisch abläuft. Ein Beispiel: Bei denen, die mit sms schreiben aufgewachsen sind und diese Kommunikationsform häufig nutzen, bildet sich das Daumenareal im Gehirn stärker aus. Das geht dann immer flotter. Der Aufbau innerer Ressourcen zur Stärkung unserer Widerstandskraft funktioniert ähnlich. Es braucht viele verkörperte und intensiv erlebte Erfahrungen Möchten wir wach im Moment sein statt im übertragenen Sinne "auf alten Straßen" unterwegs zu sein, dann bedarf es eines regelmäßigen, achtsamen Tuns im Hier und Jetzt. Möchten wir die Überzeugung in uns tragen, stets Einfluss auf unsere Befindlichkeit nehmen zu können und grundsätzlich handlungsfähig zu sein, dann braucht es Erfahrungen, die eben dies verkörpern. Das ist mit Üben gemeint. So können sich alternative Verknüpfungen entwickeln. Werden die bisherigen Straßen nicht mehr befeuert, werden sie mit der Zeit verblassen. Doch in diesem Prozess gibt es auch Hürden: Im Zuge unserer Evolution war es überlebenswichtig, den (potentiellen) Gefahren stets Aufmerksamkeit zu schenken und sie präsent zu haben. Sich der Freude über die entdeckten schönen roten Früchte hinzugeben und dabei den berühmten hungrigen Säbelzahntiger im Gebüsch zu übersehen, wäre das Ende gewesen. Die, die die Gefahren im Blick hielten, überlebten und hatten Gelegenheit, sich fortzupflanzen. Das Erbe unserer Vorfahren: Die Negativitätsverzerrung . Unsere Aufmerksamkeit geht ganz von selbst, wie von einem starken Magneten angezogen zu dem (potentiell) Gefährlichen, dem Besorgniserregenden. Sie hängt automatisch an schwierigen Erfahrungen und wahrgenommenen Schwächen. Das machen sich die Texter von Schlagzeilen und viele andere zunutze. Positive Momente hingegen, z.B. eine kurze freundliche Begegnung, eine Aufmunterung durch die Freundin, die wohlige Wärme der Sonne auf der Haut, ein Kinderlachen – eben die kleinen Freuden im Alltag rauschen oft nur so durch uns durch. Damit auch sie Spuren in unseren Gehirnen hinterlassen, dürfen wir sie bewusst wahrnehmen oder erinnern und ganz lebendig werden lassen. (Siehe z.B. die Arbeit von Rick Hanson) Die Negativitätsverzerrung bringt auch mit sich, dass wir i.d.R. unsere potentiellen Ressourcen und unsere Möglichkeiten unterschätzen, die Hürden und unsere Schwachpunkte hingegen eher überbewerten. Ist uns dies bewusst, können wir im Alltag leichter bemerken, wann wir mit dem Negativ-Erleben oder den düsteren Aussichten verschmelzen oder uns schon ganz damit identifizieren. Dann hilft es, innerlich ein wenig zurückzutreten, den Blick zu weiten, Kräfte wachzurufen und den verunsicherten Seiten in uns mitfühlend beizustehen. Das tut gut. So lernen wir, mit uns selber Freundschaft zu schließen und uns in guter Weise zunehmend leichter zu regulieren. "Nana korobi, ya oki" ist ein japanisches Sprichwort. (Siebenmal hinfallen, achtmal wieder aufstehen)
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