In der kleinen Bucht auf der Höhe des Eingangs zum Nationalpark ziehen die schweren Regen-wolken nur ganz langsam in Richtung Wasser. Auf einem Stein mit Kuhle finde ich Platz und atme mit der leicht bewegten Ostsee. Vor mir schwimmt ein einzelner Kormoran und taucht ab. Nach einer Weite vermute ich, dass ich ihn verloren habe, dass er längst weitergezogen ist. Jetzt taucht er auf und gleich wieder ab. Ich zähle: 21,22,23… 18 Sekunden bleibt er unter Wasser, kommt kurz hoch und taucht erneut. Wow, das ist beeindruckend und ich merke, wie er Neugierde in mir weckt.
Kennst Du das auch? Du bemerkst ein Tier, ein blühendes Kraut entlang Deines Weges oder entdeckst eine interessante Blattform am Baum und wirst neugierig, möchtest mehr erfahren.
Heute früh zum Sonnenaufgang ging es mir schon einmal so mit einem kleinen Vogel, der von den Kreidefelsen hin zu einem großen im Wasser liegenden Findling flog und dort begann, zu picken. Ich weiß nicht, was sich auf der Oberfläche des Steines befand, der ja dort immerhin schon seit der letzten Eiszeit liegt. Irgendwas wird der kleine Vogel dort gefunden haben, bevor er die Position veränderte und ein Lied anstimmte. Habitat, Klang und Bewegungsmuster deuteten auf eine bestimmte Art hin, aber klar abgesetzte Farben konnte ich leider nicht erkennen. Als er ein paar Meter entfernt auf dem Steinstrand landete und ich mich ihm vorsichtig, eine kleine Melodie für ihn pfeifend näherte, versprach ich, heute endlich zum Optiker zu gehen.
Meine Aufmerksamkeit ist nun beim Spiel der Wellen, die sich an den vielen Findlingen brechen. Ich schließe die Augen und lausche. Was hört mein linkes, was mein rechtes Ohr? Wie klingt das zarte Rumpeln der kleineren Flintsteine, wenn sie sich durch den Druck der anrollenden Wellen aneinander reiben?
Dann landet meine Aufmerksamkeit bei den Düften, ich nehme die Landschaft über meine Nase auf und atme tiefer. Und schließlich schweift mein Blick in die Weite – ich selbst werde weiter - und das Grün der Buchen links von mir leuchtet im Sonnenlicht.
Unsere Körper und alle Körper sind Immerzu im Wandel, vor mir präsentiert sich die Landschaft immer wieder neu. Als ich hier vor langer Zeit wohnte, war ich jeden Morgen gespannt, welches Bild sich meiner Hündin und mir bieten würde. Hin und wieder waren nahe am Abgrund stehende Bäume um- und abgestürzt, dort wo Wind, Regen und Wellen über die Zeit gewirkt hatten. Immer wieder brausten die Wellen gegen die erdigen und kreidenen Begrenzungen, durchtränkten und schwemmten weg. Dann gab es kein Durchkommen. An anderen Tagen lag der Weg ganz eben vor uns, doppelt so breit wie am Abend zuvor und die Ostsee gluckste friedlich vor sich hin. Ich war täglich aufs Neue fasziniert von der Wildheit der Landschaft und dem Zusammenspiel der Elemente.
Seither komme ich als Besucherin mehrmals im Jahr. Das Land um die Bucht ist mir vertraut geblieben. Gestern bei meiner Ankunft sah ich, dass eine mächtige, alte Buche am Wegesrand begonnen hat, sich noch etwas mehr über den Strand zu beugen, so dass ihre Wurzeln das umliegende Erdreich und damit den Gehweg zum Kippen brachten. Ich kenne die Buche seit mehr als 25 Jahren, sie war auch damals schon alt und mächtig. Vielleicht wird sie sich in den kommenden nassen Wintern ganz der Schwerkraft hingeben. Diese lebendige Landschaft ist Lebensraum für viele. Sie ist auch Teil meines Lebens, gehört zu meiner nicht-menschlichen Familie und bin dankbar, dass ich sie habe.